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Geschichten aus meiner Kindheit

Das weiß ich nicht

Einleitung

2. Unser Leben in Oberspitzenbach

Unser Leben in Koblenz

=> 3.1 Hohenzollernstr. 79

=> Episoden 1-3

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Göttingen

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Episode 31
Mit unserem Cousin Hendrik haben wir in Koblenz unser Taschengeld ein wenig aufgebessert, wenn es denn überhaupt Taschengeld gab. Wie nach dem Krieg üblich, gab es genügend Schrott, den man sammeln konnte und der einem dann auch abgenommen worden ist. Es wurde alles gebraucht und alles verwertet. Wo wir den Leiterwagen her hatten, weiß ich nicht mehr; aber dieser hat uns bei unserem „Nebenverdienst“ gute Dienste geleistet. Wie Altwarenhändler sind wir drei von Haus zu Haus gezogen und haben gefragt, ob nicht irgend etwas Brauchbares für uns da wäre, das wir dem Altwarenhändler bringen könnten. Wir haben wirklich altes Eisen, Lumpen, Flaschen und Papier bekommen, die wir dann in „bare Münze“ umsetzen konnten. Von der Hohenzollernstraße sind wir dann mit dem „Bollerwagen“, wenn er gut gefüllt war, durch die Bahnhofstraße, die Löhrstraße und dann am Brüderhaus vorbei zum Altwarenhändler, zum „Trödler“ gezogen, um dort unsere „Beute“ zu Geld zu machen. Mit dem Wagen mussten wir dann auf die Waage fahren, das Gewicht wurde im Wiegehaus abgelesen, auf einen Zettel notiert, anschließend haben wir den Leiterwagen zum Schrottplatz oder zum Lagerplatz für Papier und Flaschen gefahren, dort entladen, um wieder zurück zur Waage zu gehen. Der Wagen wurde erneut gewogen und von dem errechneten Gewichtsunterschied wurde uns unser „Verdienst“ ausgezahlt, den wir brüderlich durch drei geteilt haben. Es waren zwar immer nur Pfennigsbeträge, aber diese konnten wir gut gebrauchen. 
 
Episode 32
Für mich ist es wichtig hier einzufügen, dass wir in den großen Ferien mit unserer Mutter mit dem Zug von Koblenz nach Freiburg im Breisgau und von dort mit der Elztalbahn nach Oberwinden gefahren sind. Von da aus ging es zu Fuß nach Oberspitzenbach, wo wir unsere Ferien verleben. Für uns Kinder war das natürlich immer ganz toll. Wir waren begeistert, wieder in unserer alten Heimat zu sein. Die Strapazen nahm unsere Mutter auf sich, um die Haushaltskasse zu schonen, weil wir bei Reichs wohnten, aßen und auch unseren Lebensunterhalt in dieser Zeit verdienten.
 
Als wir das erste Mal mit dem Zug nach Oberwinden gefahren sind, wussten wir natürlich nicht, dass es am Rhein sehr vier Tunnels gibt, durch die der Zug fahren muss. Die Züge waren auch damals noch nicht so komfortabel wie heute. Die Waggons hatten noch 1. – 3. Klasse und während der Fahrt gab es keine Beleuchtung in den Waggons. Als wir also in den ersten Tunnel fuhren und es dunkel wurde, habe ich gebrüllt „wie am Spieß“, weil ich Angst hatte, wir kämen aus dem Tunnel nicht mehr heraus. Ich wurde aber beruhigt und nach und nach habe ich mich an die Tunneldurchfahrten gewöhnt.
 
In den Erzählungen über Oberspitzenbach habe ich bereits erwähnt, dass wir Kirschen oder Pflaumen pflückten bzw. auflasen und ich darin nicht der Schnellste und der Fleißigste war. Nicht erwähnt habe ich, dass wir dazu ein sogenanntes „Krutttenkörbchen“ hatten, in das der Ertrag der Sammlung hineingetan wurde. Dieses Körbchen bestand aus Weide und war so gearbeitet, dass es zum Bauch hin flach wurde und die Henkel an der flachen Seite angebracht waren, damit man dadurch eine Schnur ziehen konnte, die man sich um den Bauch band, damit war das Körbchen haltbar am Körper befestigt.
 
Die Essgewohnheiten im Hause Reich waren auch recht gewöhnungsbedürftig. Wer auf dem Lande groß geworden ist, der weiß, dass früher alle um den großen Tisch in der Küche herumsaßen und erst mit dem Essen begonnen wurde, wenn der Bauer erschien und mit dem Essen aufgehört wurde, wenn der Bauer seinen Löffel oder seine Gabel hinlegte. Das war bei Reichs „guter Brauch“. Dazu kam noch, dass meistens nur eine große Schüssel auf dem Tisch stand, aus der alle Anwesenden aßen. Frau Reich hatte die Angewohnheit, ihren Löffel oder ihre Gabel aus der Schublade des Küchentisches zu holen, am Tischtuch abzuwischen und dann zu essen. Wenn sie fertig war, dann wurde das Besteck wiederum an der Tischdecke abgewischt und zurück in die Schublade gelegt. Wir waren über diese Essgewohnheiten immer „begeistert“, konnten wir doch so essen, wie wir wollten, ohne dass jemand schimpfte, weil unsere Tischmanieren in dieser Zeit immer gelitten haben.
 
Wenn alle auf dem Feld gewesen sind und die Zeit der Ernte drängte, dann wurde nicht bei Reichs zu Hause gegessen. Frau Reich kam dann mit dem Essen auf das Feld. Dort wurde dann ein Tischtuch auf dem Boden ausgebreitet, Speck, selbstgebackenes Bauernbrot, eigene Butter, Most und sonstige Köstlichkeiten gereicht. Unter anderem kann ich mich an die sehr gute Holundermarmelade erinnern, die Frau Reich machte. Dieses Essen auf dem Feld war eine sehr schöne und gemütliche Sache. Allerdings muss ich anmerken, dass bei der Familie Reich alles verwertet wurde. Wenn der Speck „Füße“ bekam, ich meine damit, dass darin Maden waren, dann wurden diese Stücke eben abgeschnitten und der Rest wurde gegessen. Beim Brot verhielt es sich nicht anders. Es kam immer wieder vor, dass das Brot schimmelig war. Kein Problem: die befallenen Stellen wurden abgeschnitten und der Rest verzehrt. Heute überhaupt nicht mehr vorstellbar! Damals hat sich keiner darüber Gedanken gemacht.
 
Wenn es die Zeit zuließ, dann hat Frau Reich das Essen in der großen Gemeinschaftsküche vorbereitet und alle, die auf dem Feld arbeiteten, mit einem Kuhhorn zum Essen „gerufen“. Dazu hat sie sich auf den Balkon am Haus oder auf den Hof gestellt und in ein Kuhhorn geblasen, das einen ähnlichen Klang wie eine Trompete erzeugte. Dies war das Zeichen, die Arbeit einzustellen und nach Hause zu gehen, um zu essen. Anschließend wurde wieder der Feldarbeit nachgegangen.
 
Tilman und ich hatten in einem unserer Urlaube in Oberspitzenbach einmal den Auftrag, das Vieh von Reichs auf die Weide zu treiben. Das bedeutete, dass wir im Stall alle Tiere losmachen mussten, dann über den Hof treiben, am „Gasthaus zum Hirschen“ vorbei, über den „Fröschliweiher“ zur Weide bringen. Dort sollten wir auf das Vieh aufpassen und es am Abend wieder in den Stall treiben. Elektrozäune oder Ähnliches gab es noch nicht. Wir mussten also das Vieh hüten. Aufpassen, das keines verloren ging oder sich verlief. Eigentlich eine einfache und leichte Arbeit. Aber irgend etwas mussten wir falsch gemacht haben! Wir haben das Vieh auf die Weide getrieben und wollten es also hüten. Aber auf der Weide angekommen, hat das Vieh einen großen Bogen beschrieben und hat den Rückweg in den Stall angetreten. Wir waren mit dem Vieh vielleicht eine Stunde unterwegs und dann stand es wieder im Stall. Das kam nicht gut an. Frau Reich war darüber nicht begeistert, ganz im Gegenteil: Hat die mit uns geschimpft! Ob wir einen weiteren Versuch angetreten haben, „das weiß ich nicht!“
 
Auf der Tenne unseres „Getti`s“ konnte man herrlich spielen. Dort haben Tilman und ich in den Ferien einen Großteil unserer Zeit verbracht. Es gab ganz tolle Balken, auf denen man Rennfahrer spielen konnte. Das heißt, wir legten uns auf diese Balken und legten uns so richtig in die Kurve und ahmten das Geräusch eines Rennwagens nach. Dabei muss ich mich zu weit auf die Seite gelegt haben. Jedenfalls bin ich vom Balken abgerutscht und ein Stockwerk tiefer gefallen. Mein Pech, dass dort unten kein Stroh oder Heu lag, sondern eine Säge stand. In diese bin ich hineingefallen. Mein linkes Knie muss das Sägeblatt erwischt haben. Von links nach rechts war mein Knie in Streifen aufgeschnitten. Gut hat das nicht ausgesehen. Wieder waren Tilman und ich uns ganz einig und wir schleppten uns zu Reichs, weil dort unsere Mutter war. Die war höchst angetan, als sie mich sah. Das Knie hat stark geblutet. Eine Behandlung durch einen Arzt war nicht möglich, weil zu weit weg. Also wurde zur Eigenbehandlung geschritten. Das bedeutete, dass Franzsepp mit einem Glas Oberspitzenbacher selbstgebrannten Schnaps mit mindestens 56% Alkoholgehalt kam. Dieses wurde mir in die Wunde gegossen, zwecks Immunisierung und ein Pflaster darüber geklebt. Ich glaube, dabei habe ich ganz schön gebrüllt. Eine Narbe von diesem Spiel habe ich heute noch am linken Knie.
 
Einmal durften wir mit Franzsepp und seinem Hanomag-Traktor, Typ R 19, nach Oberwinden fahren. Ich meine, wir haben Holz ausgeliefert. Unten im Elztal durften wir den Traktor fahren. Wie, das kann sich jeder vorstellen: Zick-Zack war angesagt. Irgendwann hatten wir den Auftrag erledigt und konnten den Heimweg antreten. Bevor man auf die Straße von Oberwinden nach Oberspitzenbach einbiegt, befindet sich direkt an der Ecke das Gasthaus „Zur Sonne“. In dieser Gaststätte musste noch Einkehr gehalten werden. Franzsepp stellte den Traktor ab und wir gingen mit ihm in das Gasthaus. Dieser Aufenthalt hat länger gedauert als vorgesehen. Das Essen war gut, das Bier auch! Nun fragt sich der Leser, wieso Bier? Kinder in diesem Alter, wir waren ja so um die zehn Jahre alt, dürfen keinen Alkohol trinken. Das hat aber weder Franzsepp, noch die dort Anwesenden interessiert. Weil das Bier so gut schmeckte, haben wir diesem auch gut zugesprochen. Ich muss aber noch einen Schluck mehr als Tilman getrunken haben. Jedenfalls, wie wir den Heimweg angetreten haben, war ich nicht mehr nüchtern. Hat sich unsere Mutter „gefreut“, als sie uns in Empfang nahm. Der eine „blau wie ein Veilchen“, der andere auch nicht mehr ganz nüchtern. Franzsepp hat sich köstlich amüsiert. Das war mein erster Rausch! Am nächsten Tag durfte ich dann länger schlafen und mich von meinem Zustand   erholen.
 
Über der „guten Stube“ von Reichs hatten wir im ersten Stock in den Ferien ein Zimmer, in dem wir geschlafen haben. Abends wurden die Sachen ordentlich über einen Stuhl gelegt und am nächsten Morgen wieder angezogen. Eines Morgens wollte Tilman sein Hemd anziehen. Wie er gerade das Hemd über den Kopf ziehen wollte, ist aus einem Ärmel eine Maus herausgesprungen. Das Geschrei! Die Maus rannte davon und ich hinterher, weil Tilman so geschockt war. Sie rannte den Flur entlang und die Treppe herunter. Durch Tilmans Geschrei war die Familie Reich alarmiert und kam uns entgegengelaufen. An der letzten Stufe stand Franzsepp und erwartete mich und die Maus. Das Ende der Maus war schnell besiegelt. In den Hausflur kam sie nicht mehr, weil Franzsepp mit einem Fußtritt dem Leben des Mäuschens das Ende bereitete. Nicht besonders tierlieb, aber effektiv.
Tilman hat heute noch einen Horror vor Mäusen und findet sie nicht besonders niedlich. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
 
Im Sommer 1955 wurde unser Urlaub in Oberspitzenbach verlängert. Wir sind am Ende der Sommerferien in Oberspitzenbach geblieben und wurden in die dortige Schule eingeschult. Das geschah deshalb, weil wieder einmal die Haushaltskasse entlastet werden musste. Unsere Mutter konnte sich in den folgenden Monaten für uns und sich ein kleines „Zubrot“ verdienen. Wie bereits weiter vorne erwähnt, besaß Oberspitzenbach die einzige Hirtenschule Deutschlands. Auch 1955 unterrichtete noch Herr Lehrer Schatz in der Oberspitzenbacher Schule. Als wir dort eingeschult wurden, besuchten wir in die 3. Klasse. Das bedeutete, dass wir mit allen Schülern von der 1. bis zur 8. Klasse in einem Klassenraum zusammen saßen. Die Schüler der unteren Klassen in den vorderen Reihen, die Schüler der oberen Klassen in den hinteren Reihen. Wir bekamen unsere Aufträge und Arbeiten verteilt und mussten uns dann mit diesen beschäftigen. Derweil erhielten die anderen Schüler ebenfalls ihre Arbeitsaufträge. Diese mussten immer in absoluter Ruhe durchgeführt werden. Herr Schatz ging dann von Reihe zu Reihe, um den Fortgang der Arbeiten zu kontrollieren. Natürlich wurden auch Schüler nach vorne gerufen, um an der Tafel Aufgaben zu lösen oder in der Deutschland- und Weltkarte bestimmte Länder oder Städte zu bestimmen.
 
Wenn ich heute daran zurückdenke, dann kann ich gar nicht verstehen, dass das immer ruhig ablief und wir nicht durch die anderen Schüler in unserer Konzentration gestört worden sind. Selbstverständlich haben wir uns ablenken lassen; aber wehe, wir wurden dabei erwischt! Dann hieß es nach vorne an das Pult des Lehrers treten und seine Prügelstrafe abzuholen. Das bedeutete entweder mit dem Rohrstock Schläge auf die Fingerkuppen oder auf den stramm gezogenen Hosenboden.
 
Ob wir so richtig etwas in dieser Zeit gelernt haben, „das weiß ich nicht!“
 
Die Zeit in der Oberspitzenbacher Schule war schon interessant. Weshalb das von mir so gesehen wird, will ich kurz erläutern: Wer hat schon von uns die Möglichkeit gehabt, in eine solche Schule zu gehen und die Erfahrungen zu sammeln, die wir gemacht haben? Ich glaube, diese Erfahrung prägt für das Leben und hat uns trotz allem etwas gebracht. Das Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander wurde dadurch gestärkt und gefördert. Jedenfalls waren wir froh, als wir wieder nach den Kartoffelferien nach Koblenz zurück und dort wieder in die Schenkendorfschule gehen konnten.
1955 waren wir zum letzten Mal in den Sommerferien die ganze Zeit in Oberspitzenbach. Später nur noch sporadisch und nicht mehr regelmäßig. 11
 
In diesem Urlaub meinte unser „Getti“, dass er uns etwas Gutes tun müsse. Er nahm uns mit nach Waldkirch um uns neu einzukleiden. Wir durften uns selbst einen Anzug aussuchen. Zwar wollte unsere Mutter mitfahren, aber „Getti“ wollte mit uns allein sein. Also gingen wir in ein Bekleidungsgeschäft und haben uns unsere Anzüge ausgesucht. Tilman einen grün - grau - gesprenkelten Anzug und ich einen rot - grau - gesprenkelten Anzug aus Wollstoff. Heute würde ich sagen, die waren „so war von hässlich“, aber damals haben uns die Anzüge „so was von gut gefallen“! Unsere Mutter war auch entsprechend entsetzt, als sie uns mit stolz geschwellter Brust in unseren neuen Anzügen gesehen hat. Sie haben sehr lange gehalten. Eine Geschichte dazu werde ich zu einem späteren Zeitpunkt noch anfügen; dabei spielt die Hose des Anzuges von Tilman eine wesentliche Rolle.
 
Wenn wir unseren Urlaub in Oberspitzenbach beendeten, mussten wir mit der Elztalbahn von Oberwinden wieder bis nach Freiburg und von dort mit der Bundesbahn nach Koblenz fahren. Bis nach Waldkirch konnten wir uns so benehmen, wie die Wochen vorher auch. Aber ab Waldkirch mussten wir uns wieder zivilisiert benehmen, weil unsere Mutter immer sagte: „Ab Waldkirch wird sich anständig benommen, dann sind wir wieder in der Zivilisation.“ Als wenn Oberspitzenbach „Busch“ gewesen wäre! Na ja, so ganz unrecht hatte sie ja nicht, in Oberspitzenbach sind wir immer ein wenig „verwildert“.
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